Parallele biologische Welt mit genetischer Firewall

Neue Wege zur Ganzzellkatalyse durch künstliche Bakterien

Im Berliner Exzellenzcluster UniCat wird rund um den Biochemiker Nediljko Budisa in Zusammenarbeit mit dem französischen Biologen Philippe Marlière ein neues Konzept entwickelt, um Industriebakterien durch eine neue, bisher nicht in Lebewesen vorkommende Chemie mit neuen katalytischen Funktionen auszustatten. Sie nennen dieses neue biochemische Verfahren „Codonemanzipation“. Dabei wird eine genetische Firewall errichtet, die die Bakterien von einer speziellen Nährlösung abhängig macht. Damit sind sie in der natürlichen Umwelt nicht lebensfähig, und ein Gentransfer in die Umgebung ist unmöglich.

Budisa und Marliére möchten die alte natürliche Chemie durch eine neue ersetzen. Diese Entwicklung soll durch die gerichtete Evolution natürlicher, schnell wachsender Bakterien im Reagenzglas erreicht werden. „Diese Zellen befinden sich gewissermaßen in einer parallelen Welt“, sagt Budisa. „Sie können ihre genetische Information nicht mehr mit anderen Lebewesen austauschen, sie besitzen eine genetische Firewall.“

Zwar werden die Bakterien am Anfang in der synthetischen Nährlösung mit der nicht-natürlichen Aminosäure nur sehr schlecht wachsen. Doch durch Zucht über viele Generationen werden sie am Ende codonemanzipiert. Codonemanzipation bedeutet die Möglichkeit, lebende Systeme mit einer alternativen Chemie zu versehen. Einerseits wird der Weg zur künstlichen biologischen Vielfalt von der Fachwelt mit Skepsis betrachtet. Andererseits ist im Erfolgsfall ungeheurer Nutzen für industrielle Anwendungen zu erwarten. Zum Beispiel sind neue umweltfreundliche Biokatalysatoren zur Herstellung von Treibstoff, neuer medizinischer Wirkstoffe oder umweltfreundlicher Biomaterialien denkbar. Gleichzeitig trägt dieses Projekt grundlegend dazu bei, Probleme und Bedenken bezüglich der biologischen Sicherheit synthetischer Organismen wissenschaftlich aufzugreifen und in der Öffentlichkeit zu thematisieren.

Diese chemisch modifizierten Bakterien werden für eine theoretisch unbegrenzte Zeit lebensfähig sein und zwar in genetischer Isolation von natürlichen Spezies. Sobald die nicht-natürliche Aminosäure nicht mehr in der Nährlösung angeboten wird, sterben sie ab. Die Codonemanzipation errichtet also einen "genetischen Schutzwall" gegen einen möglichen genetischen Austausch zwischen artifiziellen und natürlichen Zellen.

Philippe Marliére betont: „Wir werden den gesamten genomischen Text der Mikroben im Reagenzglas durch gehäufte Mutationen in rasch wachsenden Zellen unter permanentem Selektionsdruck neu schreiben. Dafür haben wir in den vergangenen zehn Jahren einen Automaten, einen sogenannten Genematen, entwickelt.“

Diese Entwicklungen stehen in der vordersten Front der Synthetischen Biologie. Die Arbeiten der berühmten Amerikaner Craig Venter und George Church sind dagegen mehr oder weniger im Rahmen der klassischen Gentechnik zu betrachten; denn sie basieren auf Kopieren und Resynthetisieren von in der Natur vorhandenen Strukturen mit Hilfe von synthetischen DNA-Oligomeren.

Matthias Driess, der Sprecher des Exzellenzcluster UniCat, ist begeistert von den Aussichten, die die vereinten Kräfte von Budisa und Marlière eröffnen: „Dies wird den Bio-Part unseres Clusters enorm stärken. Philippe ist ein Innovator par excellence, und Nediljko ist ein origineller Denker mit hohem intellektuellem Profil, ein harter Arbeiter, der seit Jahrzehnten seine ursprünglichen Ideen und hoch gesteckten Ziele verfolgt, ohne sich vom wissenschaftlichen Mainstream und den Moden in Deutschlands Forschungslandschaft ablenken zu lassen, d. h. er schwimmt erfolgreich gegen alle Ströme. Wir erwarten nicht nur die Entwicklung eines einzigartigen Ganzzellkatalysator, sondern auch Entwicklung künstlicher Lebensformen mit Funktionen, die bisher nicht von der natürlichen Evolution erfunden wurden.“

 

Der genetische Code und das Konzept der Codonemanzipation

Der genetische Code wurde 1966 aufgeklärt, er ist für alle Lebewesen gleich. Das bedeutet, dass in jedem Organismus eine bestimmte Reihenfolge von Nukleinsäuren in der DNA das gleiche Eiweißmolekül liefert.

Der genetische Code bestimmt, wie die Reihenfolge der Basen aus Adenin (A), Cytosin (C), Guanin (G) und Thymin (T) in Eiweiße übersetzt werden. Je drei Basen stehen für eine Aminosäure. Solch ein Triplet nennt man Codon. Es gibt nur 64 Codons, die 20 Aminosäuren bilden. Deshalb sind die meisten Aminosäuren durch mehrere Codons codiert.

Zum Beispiel kann die Aminosäure Arginin durch die sechs Codons CGG, CGA, CGC, CGU, AGG und AGA dargestellt werden. AGG und AGA sind in Bakterien wie Escherichia coli sehr selten benutzt. Deshalb könnten theoretisch z. B. alle AGGs im Erbgut eines Lebewesens einer neuen nicht-natürlichen Aminosäure zugeordnet werden. Man sagt dann, die Zelle ist codonemanzipiert, d. h. die alte natürliche Chemie ist durch eine neue ersetzt.

 

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Weitere Informationen erteilen Ihnen gern

Prof. Nediljko Budisa
TU Berlin, Department of Chemistry
Tel.: + 49 (0) 30 314-23 661

E-Mail: budisa@biocat.tu-berlin.de

Dr. Martin Penno
Exzellenzcluster UniCat, Öffentlichkeitsarbeit
Technische Universität Berlin
Tel.: + 49 (0) 30 314-28 592
E-Mail: martin.penno(at)tu-berlin.de

Literatur

Hoesl, M. and Budisa, N. (2011). Paralleler In-vivo-Einbau von mehreren nichtkanonischen Aminosäuren in Proteine. Angewandte Chemie, dt. Ausgabe, Band 123, Seite 2948–2955, vom 21 März, 2011
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ange.201005680/abstract


Schmidt
, M. (2010), Xenobiology: A new form of life as the ultimate biosafety tool. BioEssays, 32, 322–331
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/bies.200900147/abstract

Marliere P. (2009). The farther, the safer: a manifesto for securely navigating synthetic species away from the old living world. Syst. Synth. Biol. 3, 77-84.
http://www.springerlink.com/content/j504q5032553n326/

Budisa, N. (2004). Prolegomena to future experimental efforts on genetic code engineering by expanding its amino acid repertoire. Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 43, 6426-6463.
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/anie.200300646/abstract

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Fotos: U. Dahl/TU Berllin